Die „mythische Bedeutung“ von Artefakten
Im Rollenspielkarneval im August ging es um Artefakte. Einen kurzen Beitrag hatte ich dazu geleistet und großspurig einen zweiten angekündigt, in dem es um die mythische Bedeutung von Artefakten gehen sollte. Wie das aber so ist, hat das reale Leben so viel Zeit gefressen, dass ich dieses Vorhaben nicht verwirklichen konnte!
Aber jetzt habe ich die Zeit und schiebe den Artikel mal nach. Hier geht es in erster Linie um Artefakte in (Urban) Fantasy, Horror und Pulp spielen, also Settings, die mythische (magische/ göttliche/ dämonische/ okkulte etc.) Kräfte und Mächte beinhalten.
Die mythische Bedeutung von Artefakten
Was macht ein Artefakt im Rollenspiel zu etwas besonderem? Nun, zum einen sind das oft machtvolle Fähigkeiten, die weit über die Möglichkeiten des normalen Arsenals der SCs hinausgehen, oder ihnen zumindest andere/ speziellere Möglichkeiten geben, ein „Effekt“ des Artefakts sozusagen. Das hat schon was, aber verliert aber mit der Zeit seine Besonderheit. Wenn bspw. ein besonders mächtiges Schwert regelmäßig im Kampf geführt wird, dann wird das irgendwann zum Standard. Ab und an mag noch einmal ins Bewusstsein der Spieler durchsickern, dass sie da eigentlich etwas sehr besonderes haben, aber das verliert sich wieder. Anders ist es, wenn das Artefakt kein reines Werkzeug bleibt, sondern einen Zweck erfüllt, wenn sich ein „Mythos“ darum aufbaut.
Ein fast schon klassisches Beispiel:
Einst waren große Teile der den SCs bekannten Welt in einem Reich geeint und wurden von einen großen König regiert. Dieser war nicht nur ein gütiger Herrscher, sondern auch ein großer Feldherr, der die Erzbedrohung für die Menschen zurücktrieb (z.B. Untote). Das Schwert, das er führte, war ihm von einer höheren Macht (z.B. einer Gottheit) gegeben worden und besonders dazu geeignet, die Gefahr zu bannen. Nun war das Schwert, nachdem die Bedrohung gebannt war, nicht nur ein Werkzeug gegen das Böse, sondern wurde auch zum Symbol der Herrschaft des Königs, die sich (zumindest anfangs) durch seinen Erfolg legitimierte. Aber es kam wie es kommen musste: Nach seinem Tod zerbrach das Reich. Sein Sohn hatte nicht die nötige Autorität die Adligen zusammenzuhalten und wurde in einem hinterhältigen Plot ermordet. Dessen einziges Kind verschwand spurlos, gleichfalls das Schwert. Von nun an war die Welt der Menschen in viele kleine Königreiche und Fürstentümer gespalten. Das blieb über viele Jahrhunderte so.
So, das ist die Ausgangslage, die Herkunft des Artefakt und die Grundlage dessen, was es bedeutet. Wie könnte man eine solche Legende nun in seine Kampagne einbauen? Ebenfalls klassisch könnte der Grundgedanke so lauten: Die Untoten kehren zurück und drohen ein weiteres Mal die Menschen zu knechten/ auszulöschen. Die einzelnen Kleinreiche sind nicht in der Lage sich dessen dauerhaft zu erwehren. Sie sind gleichfalls zu zerstritten, um sich zu einen.
Die SCs bekommen nun, über welche Umwege auch immer, die Aufgabe das Schwert zu finden. An dieser Stelle kommt meine Eingangs aufgestellte Konzeption von Werkzeug und sinnerfülltem Artefakt zu tragen. Natürlich könnte der einzige Grund das Schwert zu bergen sein, dass es wirklich gut gegen Untote wirkt. Vielleicht ist es sogar die einzige Waffe, die den Anführer des feindlichen Heeres, den großen Lich-Fürsten, niederzustrecken vermag!
Legitim, oder? Sicher, aber auf diesem Level bleibt es ein Werkzeug. Hat halt mal so einem König gehört und ist deshalb so stark… Das denke ich mir zumindest oft, wenn ich manche Listen mit fertigen Artefakten durchsehe. Solange sie losgelöst von der Handlung sind, „nur“ effektreiche Gegenstände die irgendwo auf Entdeckung und Einsatz warten, solange halte ich sie nicht für eine wirkliche Bereicherung der Atmosphäre und der Handlung.
Wie könnte man das Artefakt also einbringen und es mit „mythischer Bedeutung“ versehen? Nun, vor Allem sollte man darauf achten, dass nicht nur ein „Effekt“ erzielt wird, sondern auch Sinn gestiftet wird, der über die Auswirkungen des „Effekts“ hinausgehen. In meinem Beispiel meint das folgendes: Der „Effekt“ ist die Zerstörung von Untoten, insbesondere die Möglichkeit, den Lich-Fürsten zu erschlagen. Das die „effektive Bedeutung“, wie ich sie nennen möchte. Die „mythische Bedeutung“ ist eine andere, denn der Mythos, wie oben skizziert, beinhaltet viel mehr. Das Schwert ist ein Symbol der gerechten Herrschaft eines legendären Königs, sein Auffindung das Versprechen auf eine bessere Zeit. Um dem Schwert so seine mythische Bedeutung zu geben, wäre es angebracht, auch die Suche nach dem letzten Mitglied aus der Blutlinie zum Thema zu machen. Vielleicht ist das Schwert das einzige, was die Legitimität des Erben offenbaren kann, wenn man es ihm in die Hände gibt. Oder es weist einem erst den Weg zum Erben. Und nur so könnten die Menschen wieder geeint werden und sich der Bedrohung stellen. Das ist der „Mythos“ des Schwertes, die Wiederkehr des geeinten Reiches der Menschen, in den Händen eines legitimen Erbens einer Legende. Vielleicht erzielt sich der „Effekt“ auch nur in den Händen dieses Erbens, der (so ein Zufall) einer der Spielercharaktere ist.
Zusammenfassend definiere ich „mythische Bedeutung“ so: Ein Artefakt braucht nicht nur einen „Effekt“, der einen wie auch immer gearteten Nutzen bringt und oft magischer oder göttlicher Natur ist, sondern auch einen Hintergrund, der Herkunft und die erhoffte Verheißung des Artefakts erklärt. Aber damit nicht genug, denn der Hintergrund sollte auch mit den aktuellen Geschehnissen der Kampagne verknüpft sein und das Artefakt eine spürbare, vielleicht sogar unumgängliche Auswirkung auf die Zukunft haben. So entsteht der „Mythos“ eines Artefakts. Eine Bedeutung die in der Vergangenheit liegt und sich bis in die Gegenwart der Handlung erstreckt.
Ein Kommentar
Dia
Finde ich gut. Was mir aber noch besser gefällt, als ggf. ein Auftrag, der beinhaltet ein bestimmtes Artefakt zu finden, um dann xyz zu erreichen ist das „Hineinstolpern“ einer oder mehrere Figuren in diese Dinge. Also erst das Artefakt finden, ohne zu wissen, dass es das ist, was man gesucht hat oder dass man überhaupt etwas gesucht hat. Plötzlich hat man irgendwas und erfährt nach und nach, dass es damit irgendetwas auf sich hat und eine ganz große Nummer ist, die immer größer wird, von der am Anfang niemand etwas ahnen konnte und die vlt sogar eine Art Verderben oder Schicksalsschlag je nachdem wofür jemand sich entscheidet bringen kann. Also ein Artefakt mit zwei Seiten, je nachdem, wie der Träger es behandelt.
Bei Disneys Aladin z.B. kann die Lampe ja gute Sachen bewirken, aber wenn sich die Hauptfigur falsch entscheidet, auch unabsichtliches Verderben bringen, bei dem der Schwierigkeitsgrad hoch ist, das angerichtete wieder gut zu machen – falls die Figur denn überhaupt die Verantwortung anerkennt, und es als ihre Aufgabe sieht, es wieder hinzubiegen.
Also ich finde es auch schön, wenn Artefakte zu einer Art Charaktertest werden und eine Entscheidung fordern, z.B. ein Artefakt bringt einen Vorteil, gleichzeitig aber passiert etwas mit der Figur, je länger sie es behält. Die Frage ist dann, nimmt die Figur das Artefakt mit allen gespürten Nachteilen an, oder gibt sie den Vorteil aus der Hand, um auch von dem Nachteil befreit zu sein. Je nach Charakter/Zielen einer Figur dürfte die Entscheidung sehr unterschiedlich ausfallen.
In einer Runde Blades in the Dark hat meine Figur einen Ring gefunden, der ihre magische Kraft verstärkt hat, blöderweise aber jedesmal wenn die Figur den Ring aktiviert hat, wurde immer mehr aus Metall, erst der Fingerknöchel, dann der Finger, dann die Hand, dann der Arm, es wurde immer schwerer, aus der Sache wieder raus zu kommen. War am Anfang die Entscheidung einen Finger zu verlieren und den Ring los zu werden, war es dann schon der ganze Arm, der auf dem Spiel stand. Die Freunde der Figur nerven sie auch, sie soll den Ring ablegen, besser ein Arm als später den Kopf zu verlieren. Es gibt auch Leute, die hinter dem Ring her sind, ein paar davon ist die Figur schon entkommen. Die Figur wollte und will den Ring behalten, denn er kam ihr in vielen brenzligen Situationen bereits als Rettungsanker vor. Inzwischen weiß sie, dass der Ring aus einem Material hergestellt wurde, das aus früheren eingeschmolzenen Wächtern besteht. Laut einer alten Legende haben diese Wächter früher die Tore zwischen der Menschen- und der Dämonenwelt bewacht, bis sie aufgrund ihrer großen Macht beseitigt wurden. Das ist auch ein Beispiel für ein Artefakt mit mythischem Hintergrund 🙂 Meine Spekulation als Spieler ist dann: Wird die Figur einer dieser mächtigen Metallwächter werden? (Die Welt ist gerade auch von Dämonen überrannt). Die Frage ist jedoch, ist die Figur dann noch sie selbst oder übernimmt der Ring auch irgendwann „den Verstand“, erwacht also etwas Altes in der Figur, das in dem Ring steckt oder hat die Figur auch später, falls es irgendwann so ist, dass sie vollständig aus Metall ist, ihr eigenes Bewusstsein, so wie vorher auch. Lustig ist auch, dass ausgerechnet die Figur sich mit am Wenigsten als „toller Held“ eignet, sie ist unzuverlässig, schusselig, unsicher, ständig in Schwierigkeiten, nimmt Drogen und ist sehr emotional und von Launen getrieben. In Bezug auf Aladin wäre es übertrieben gesagt so, als ob nicht Aladin die Lampe bekommen hätte, sondern das Äffchen 🙂
Jedenfalls, ein Hintergrund eines Artefaktes ist auf jeden Fall super, auch wenn es in manchen Fällen auch schön ist einfach nur ein schönes Artefakt zu haben, dass die Zeit und der Zufall in neue Hände gespielt hat, und das eine Art vergessener Gegenstand ist, der ansonsten auch vergessen geblieben wäre und den alten Nutzen tatsächlich schon erfüllt hat. Also dass die Zeit des Artefakts schon vorbei ist, aber eine Figur trotzdem einen persönlichen Nutzen erfährt. Also nicht immer muss es gleich die große Mythologische Bedeutung sein 🙂 Kommt immer auch auf Kontext und Story an. Jedenfalls interessanter Gedankenanstoß!